Nachruf auf Kurt Sakowski

Von Dick Gnauck
 
Am 25. Februar 2020 ist unser Trainer und väterlicher Freund, der Geher „Sakko“ Kurt Sakowski im Alter von 89 Jahren von uns gegangen.
Es ist nicht leicht, sein Leben und seinen Einfluss auf meinen Werdegang in wenigen Worten zusammenzufassen; es gibt doch so viel zu erzählen.
Kurt nahm an zwei Olympischen Spielen teil, 1960 in Rom und 1964 in Tokio. Seinen größten sportlichen Erfolg feierte er mit einem 4. Platz im 50 km Gehen bei den Europameisterschaften 1966 in Budapest.
Ein besonderes Erlebnis war für Kurt seine mehrmalige erfolgreiche Teilnahme am 100 km Gehen von Olivone nach Lugano. „Es war ja damals für uns keine Selbstverständlichkeit, außerhalb von internationalen Meisterschaften in der Schweiz einen Wettkampf bestreiten zu dürfen“ schwärmte Kurt und ergänzte: „Auf diese Herausforderung waren wir schon lange scharf“. Zusammen mit Burkhard Leuschke, Peter Selzer und Christoph Höhne, zu dem er in den letzten Jahren wieder einen intensiven freundschaftlichen Kontakt hatte, absolvierte er mehrmals erfolgreich den langen Kanten in den Schweizer Bergen. „Von km 76 bis km 81 ging es dann noch einmal richtig die Serpentinen zu einem Pass hoch“, erzählte er uns einmal oder auch jedes Mal, wenn wir uns später trafen.
In den 70er Jahren erlernten wir, Ralf Hamann und ich, bei der BSG Empor Berlin durch Kurt das Einmaleins des Gehens. Damals lehrte er den Kindern und Jugendlichen diese technische Disziplin innerhalb der Leichtathletik, und das neben seinem eigentlichen Beruf als Bauingenieur. Ich hatte kein Talent für das Gehen und viele andere Trainer hätten mir vorgeschlagen, etwas Anderes zu versuchen. Kurt war in der Beziehung weniger streng. Ich kam regelmäßig zum Training, es war gut für die Gesundheit und irgendwann platzte dann der Knoten.
Es folgten regelmäßige Veranstaltungen, wo uns Kurt betreute und wichtige Hinweise zur Gestaltung und Taktik innerhalb des Wettkampfgeschehens gab.
Der Höhepunkt war für mich das legendäre 50 km Straßengehen von Prag nach Podebrady Mitte der 80er Jahre, welches Kurt schon einmal als Sieger beendete. So profitierte ich in punkto Tempogestaltung auch bei diesem langen Kanten von seinem Erfahrungsschatz.
Die eigentlichen Jahreshöhepunkte für die gesamte Trainingsgruppe waren seine alljährlichen Geburtstagsfeiern – immer einen Tag vor Heiligabend –  wo wir unzählige schöne Stunden mit ihm, seiner Frau Lilo und anderen ehemaligen Gehern vom TSC Berlin, wie Winfried Skotnicki, Gerhard Sperling, Karl-Heinz Stadtmüller und Matthias Kroel, verbrachten.
Berühmt und berüchtigt war stets die leckere Bowle und einige von uns mussten lernen, dass man sich bei den Früchten etwas zurückhalten sollte. Ralf kann sich noch sehr gut daran erinnern!
Als Ralf Hamann, der seit über 20 Jahren in Brisbane (Australien) lebt, von Kurts Tod erfuhr, war er gerade auf dem Weg zum Schwimmtraining. Zu Kurts Ehren ist Ralf extra hart geschwommen, so wie er uns immer trainiert hat. (Ralf nahm und nimmt regelmäßig an Ironman Triathlons teil.)
Kurt war für uns wie ein zweiter Vater. Schwer nachzuvollziehen, wie er sich damals um uns gekümmert hat. Dreimal die Woche nach der Arbeit zum Stadion hetzen und sonntags mit der Bahn zu den Wettkämpfen fahren und niemals hat er einen Pfennig dafür verlangt! Und wir waren nicht immer einfach als eine  Gruppe von pubertierenden Jungs! Und wenn es Probleme in der Schule gab, kümmerte er sich auch noch darum und sprach, wenn es nötig war, auch mit  den Lehrern darüber.
Dazu kamen Reisen in die Berge und lange Wanderungen mit verstauchten Fußgelenken. Und vor allem viele, viele Geschichten von seinen Wettkampfreisen, denen wir als Jungs immer wieder interessiert lauschten.
 
In den letzten Jahren besuchten wir, Ralf und ich, jährlich Kurt, den wir nun schon lange „Sakko“ nennen durften. Im Sommer fuhren wir nach Buckow , wo er nach dem Tod seiner Lilo allein auf seinem schön gelegenen Waldgrundstück (mit seiner Katze) lebte oder wir besuchten ihn in seiner Wohnung in Strausberg bei Berlin.
 
Kurt erzählte uns noch einmal von den Olympischen Spielen 1964 in Tokio, wo er über seine nun zur Spezialstrecke gewordenen 50 km einen beachtlichen  8. Platz belegte. Er hatte eine Telefonnummer von einem Westberliner Getränkevertreter, der in Tokio lebte. Nach (illegaler) Kontaktaufnahme lud dieser ihn nach dem Wettkampf spontan zu einer Besteigung des Fujiyama ein. (Wenn Kurt hohe Berge sah, war er sowieso hin und weg). Er durfte auch seine Teamkollegen Burkhard Leuschke, Hans Reimann, Gerhard Sperling und Christoph Höhne mitbringen. Dieter Lindner, der Sechste im Bunde der Geher hatte über 20 km die Silbermedaille gewonnen, seine Abwesenheit wäre aufgefallen. Einen Tag vor dem Abenteuer wurden sie zur Begutachtung ihrer Ausrüstung zu einer Art Bergwacht bestellt. Ihre „Ausrüstung“ Sportschuhe, Trainingsanzug und Campingbeutel muss Entsetzen ausgelöst haben. In der folgenden Nacht schlichen sie sich aus ihrer Unterkunft im Olympischen Dorf. Nur Max Weber, der für sie verantwortliche Trainer, wusste Bescheid. Die Mannschaftsleitung um Manfred Ewald hätte ihnen das aus vielerlei Gründen, auch politischen, nicht erlaubt. Der ihnen zugeteilte Bergführer war ein Student. „Schon wegen seiner zünftigen schweren Ausrüstung war er uns gegenüber im Nachteil. Immer wieder mussten wir beim Aufstieg auf ihn warten und Pausen einlegen. Schließlich haben wir ihm den Rucksack abgenommen und abwechselnd getragen. Beim Abstieg im Nebel verlor er gänzlich die Orientierung. Ich war mir ziemlich sicher, dass sein vorgeschlagener Weg nicht der Richtige ist. Nach kurzer Beratung übernahm ich das Kommando. Dem Bergführer blieb nichts Anderes übrig, als uns zu folgen“ lachte Kurt wie so oft in seiner sympathischen Art. „Sicher und immer noch locker kamen wir unten an. Unser Bergführer war fix und fertig und soll gesagt haben: Nie wieder mit Ausdauersportlern!“
Im Juli letzten Jahres besuchten Ralf und ich Kurt zum letzten Mal. Unsere Hoffnung, dass es nicht das letzte Mal sein sollte, erfüllte sich leider nicht.
Kurt schenkte uns als Erinnerung seine olympischen Teilnehmer-Medaillen von Rom und Tokio und die Plaketten der 100 km Gehen von Lugano 1967 und 1969.
Ohne Kurt wäre ich kein Geher geworden und hätte nie vom GSN erfahren.
Sakko, wir vergessen dich nicht!                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          
Dick Gnauck und Ralf Hamann, Christoph Höhne